06.04.2022

Stellungnahme zum 2. Medienänderungsstaatsvertrag

Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern haben zu dem von den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder beschlossen Zweiten Medienänderungsstaatsvertrag (2. MedÄndStV) eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben.

Die Beauftragten begrüßen zunächst, dass mit dem 2. MedÄndStV Schritte hin zu mehr barrierefreien Medienangeboten, beispielsweise durch Aktionspläne, umgesetzt wurden. Allerdings lassen diese die erforderliche Klarheit und Verbindlichkeit vermissen. Die während des Änderungsverfahrens überwiegend nicht gegebene Partizipationsmöglichkeit, die Intransparenz sowie die Einführung von Regelungen quasi durch die Hintertür wird von den Beauftragten einheitlich bedauert. Ohne Möglichkeit der Stellungnahme wurden sowohl sie, als auch die Verbände der Behindertenhilfe, vor vollendete Tatsachen gestellt.

Da erforderliche Anpassungen nicht erfolgt sind, bestehen inhaltliche Kritikpunkte am MedÄndStV, welche die Beauftragten mit Ihren Forderungen zum Ausdruck gebracht haben. Den Inhalt der Forderungen kann folgender Stellungnahme entnommen werden:

 

Stellungnahme der Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder zum 2.  Medienänderungsstaatsvertrag

6. April 2022

Auf ihrer Konferenz am 22. Oktober 2021 haben die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder den Entwurf für einen Zweiten Staatsvertrag zur Änderung medienrechtlicher Staatsverträge (Zweiter Medienänderungsstaatsvertrag, 2. MedÄndStV) beschlossen. Dieser liegt nun den Bundesländern zur Unterzeichnung vor. Mit den Änderungen sollten die Vorgaben aus der AVMD Richtlinie und dem European Accessibility Act (EAA) zur Stärkung der barrierefreien Medienangebote umgesetzt werden. Zudem verpflichtet die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) Deutschland bereits seit dem Jahr 2009, Inklusion und Barrierefreiheit in den Medien aktiv zu fördern und den Zugang aller Menschen zu Informationen sowie kulturellen Inhalten in den Medien sicherzustellen.

Die Beauftragten begrüßen, dass mit dem 2. MedÄndStV Schritte hin zu mehr barrierefreien Medienangeboten, beispielsweise durch Aktionspläne, umgesetzt wurden. Allerdings lassen diese weiterhin, unter anderem wegen fehlender Fristen oder eines niedrigschwelligen Schlichtungsverfahrens, Klarheit und Verbindlichkeit vermissen. In der Praxis stellen auch die im EAA vorgesehenen zu langen Fristen für die Herstellung von Barrierefreiheit von Produkten, die für die Mediennutzung notwendig sind, ein Problem dar.

Während in einer ersten Phase 2020/2021 der Erarbeitung des Medienstaatsvertrags (MStV) Verbände sowie Bundes- und Landesbehindertenbeauftragte beteiligt wurden, war eine Partizipation im weiteren Verfahren überwiegend nicht mehr gegeben. Entgegen der Zusagen der Beteiligung der Verbände und der Behindertenbaufragten wurden die durch den EAA erforderlichen Änderungen, hier vor allem die neuen §§ 99a ff des 2. MedÄndStV, quasi durch die Hintertür eingeführt. Verbände sowie Behindertenbeauftragte wurden dadurch mehrheitlich ohne Möglichkeit der Stellungnahme vor vollendete Tatsachen gestellt. Eine proaktive Beteiligung fand in dieser späten Phase nicht mehr statt, die aktuelle Fassung des 2. MedÄndStV wurde meist erst auf Nachfrage bekannt.

Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern bedauern dieses intransparente Verfahren, durch das ihnen eine Einflussnahme auf die Anpassungen an die Erfordernisse des EAA verwehrt wurde. Daher bleiben inhaltlich Kritikpunkte am MedÄndStV.  Auch der Deutsche Behindertenrat (DBR) hat sich in einem Offenen Brief zum 2. MedÄndStV geäußert und Bedenken zum Ausdruck gebracht.

Zu den Forderungen der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern im Einzelnen:

  • 1. § 2 Abs.2 Nummer 30, Definition von Barrierefreiheit

Die Formulierung, dass ein Angebot “bei Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel“ barrierefrei ist, ist missverständlich. Denn die Nutzung von Hilfsmitteln könnte als Voraussetzung für eine barrierefreie Nutzung eines Angebotes ausgelegt werden. Auch die Relativierung „möglichst ohne fremde Hilfe“ ist äußerst bedenklich.

Von den Beauftragten und den Verbänden wurde immer wieder, etwa in der Stellungnahme zum MStV vom 8. Januar 2021, gefordert, auf die Definition von Barrierefreiheit nach dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz (§ 4 BGG) abzustellen. Diese lautet: „Barrierefrei sind (…) akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.“ Eine entsprechende Definition auch im MStV würde zudem für Einheitlichkeit und mehr Rechtssicherheit sorgen.

  • 2. § 7b, Aktionspläne

Die Beauftragten begrüßen, dass ihrer Forderung, durch Aktionspläne mehr Verbindlichkeit zu erreichen, nachgekommen wurde. Allerdings muss die Ausweitung barrierefreier Angebote mit verbindlichen Zielen und Fristen ausgestattet werden. Die Beauftragten halten eine Frist von 10 Jahren für die Umsetzung von Barrierefreiheit von angemessen (s. Stellungnahme vom 8. Januar 2021).

  • 3. § 3 Satz 2, Abbau von Diskriminierung

Die Beauftragten von Bund und Ländern lehnen es ab, dass der Abbau von Diskriminierungen gegenüber einem früheren Diskussionsentwurf zum MStV aus dem November/Dezember 2020 derart aufgeweicht wurde. Es muss klargestellt werden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Abbau von Diskriminierungen gegenüber Menschen mit Behinderungen aktiv fördern muss. Insofern sollte § 3 Satz 2 wie folgt formuliert sein: „Die Angebote sollen dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinungen anderer zu stärken und Diskriminierungen insbesondere durch gezielte Bewusstseinsbildung entgegen zu wirken.“

  • 4. §§ 99a ff, Barrierefreiheitsanforderungen, Pflichten der Anbieter

Die Anpassungen an die Erfordernisse des EAA durch die neuen §§ 99a ff MedÄndStV werden grundsätzlich begrüßt, werden allerdings in ihrer konkreten Ausgestaltung kritisch bewertet:

Vor allem die Selbstbeurteilung durch die Anbieter wird abgelehnt. Die Kontrolle sollte stattdessen durch eine unabhängige Stelle erfolgen. Die Expertise von Menschen mit Behinderungen und ihrer Verbände sollte in die Überprüfung einfließen. Öffentlich-rechtliche Medienunternehmen haben nach Auffassung der Beauftragten einen besonderen Bildungs- und Informationsauftrag und können daher nicht herkömmlichen „Wirtschaftsakteuren“ gleichgestellt werden. Es gibt vielmehr – unter Wahrung der Rundfunkfreiheit – ein besonderes öffentliches Interesse an unabhängiger Kontrolle dieser Medienunternehmen. Das gilt auch für die von Medienunternehmen angebotenen barrierefreien Dienste.

§ 99a MedÄndStV verweist derzeit auf Anhang VI des EAA statt auf die Rechtsverordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), die sich aktuell in der Länder- und Verbändeabstimmung befindet. In der Rechtsverordnung zum BFSG wurden durch eine Arbeitsgruppe, an der auch Vertreter*innen der Länder, der Verbände und des Bundesbehindertenbeauftragten beteiligt waren, begriffliche Klärungen herbeigeführt sowie Formulierungen verständlicher und anwendungsfreundlicher gestaltet. Die Beauftragten fordern, dass bei einer künftigen Überarbeitung des MStV immer dann auf die noch zu beschließende Rechtsverordnung zum (BFSG) Bezug genommen wird, wenn diese in den Anforderungen an die Barrierefreiheit über den Anhang VI des EAA hinausgeht.

  • 5. Weitere Punkte

Unklarheiten ergeben sich hinsichtlich der Marktüberwachung bzw. des Verbraucherschutzes. So fehlen etwa rechtliche Vorgaben zur barrierefreien Kommunikation der Landesmedienanstalten mit Verbraucher*innen. Auch ist nicht geregelt, wann Landesmedienanstalten eigeninitiativ die Einhaltung der Vorgaben zur Barrierefreiheit überprüfen können. Desweiteren wurde die Forderung der Beauftragten nach einem Schlichtungsverfahren bedauerlicherweise bislang nicht aufgenommen. Ergänzend zur zentralen Anlaufstelle für barrierefreie Angebote (ZABA) könnte ein solch niedrigschwelliges Schlichtungsverfahren zentral bei der Schlichtungsstelle des Bundesbehindertenbeauftragten oder den entsprechenden Stellen der Länder angesiedelt werden. Dadurch würde die Durchsetzbarkeit von Rechten der Nutzer*innen aus dem EAA deutlich verbessert.

 

Wünschenswert wären analog zum BFSG auch begleitende fachliche Beratungsangebote für kleine und Kleinstunternehmen (zum Beispiel Regionalsender mit begrenzter Reichweite) bei der Umsetzung von Barrierefreiheit. Landesfachstellen zur Barrierefreiheit etwa könnten konkrete Unterstützung anbieten (vgl. § 15 BFSG). Die entsprechende personelle und organisatorische Ausstattung könnte anteilig aus den Rundfunkbeiträgen der öffentlich-rechtlichen Sender sowie aus den (Werbe-)Einnahmen der privaten Medienanbieter finanziert werden.

Abschließend ist zu sagen, dass die nun vorliegende Anpassung des Medienstaatsvertrags hätte genutzt werden können, um weitere Forderungen der Beauftragten, die in der Stellungnahme zum MStV vom 8. Januar 2021 formuliert wurden, umzusetzen. Dies betrifft u.a. die Begleitung und Durchsetzung der Maßnahme- und Zeitpläne für Barrierefreiheit durch eine Kommission aus Organisationen der Menschen mit Behinderungen und einer Vertretung der Beauftragten von Bund und Ländern.

Sicherlich stellt der 2. MedÄndV die Weichen in Richtung mehr barrierefreier Angebote. Dies begrüßen die Beauftragten von Bund und Ländern. Allerdings hätten bei kontinuierlicher Beteiligung der Beauftragten sowie der Verbände von Menschen mit Behinderungen im Zuge der Umsetzung des EAA durch den 2. MedÄndStV weitere Fortschritte erreicht werden können.

Daher fordern die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern bei der nächsten Überarbeitung des Medienstaatsvertrages die klaren Verpflichtungen aus der UN BRK aufzugreifen und in einem partizipativen Verfahren mit den Beauftragten und den Verbänden behinderter Menschen zu erörtern.

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